Arbeitsscheuer  (Teil 2)

 

Häftling Nr. 037880

Peter Henck, Arbeitsscheuer

Autobiographische Studien V

Teil 2

 

von

Herbert Henck
 

 

 

                  Teil 1
                  
                  Kapitel   1      Bedenken und neue Forschungen
                  Kapitel   2      Erste Ergebnisse
                  Kapitel   3      Das erste Telefonat mit H. P.
                  Kapitel   4      Unterstützung aus dem Landesarchiv Berlin
                  Kapitel   5      Das zweite Telefonat mit H. P.
                  Kapitel   6      Chronologie, Der „Lübecker Volksbote“, Detailarbeit
                  
                  
                  Teil 2
                  
                  Kapitel   7      Gräber, Behörden, Gebühren. Ein Ölgemälde
                  Kapitel   8      Entnazifizierung, Die „P.-Papiere“
                  Kapitel   9      Unkosten, Verzögerungen, Widerstände
                  Kapitel  10     Stahnsdorfer Friedhof
                  Kapitel  11     Betteln. Im Hamburger „KoLaFu“
                  Kapitel  12     Eine Zeichnung. Der Friedhof in Wedel
 

 

 

 

 

Siebentes Kapitel
Gräber, Behörden, Gebühren. Ein Ölgemälde

Donnerstag, 27.5.2004. Morgens hinterließ Andreas Mahal eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Er will sich beim Bundesarchiv nach einem Experten für den Reichsarbeitsdienst umhören und empfiehlt eine Website über den Holocaust und das Dritte Reich wegen seiner guten Link-Sammlung (www.shoa.de). Ich Ã¼berarbeite die chronologischen Ãœbersichten von Fritz und Peter Henck.

Von Martin Dörr, dem Standesbeamten in Schwalmstadt, erhalte ich eine Mail, dass es â€žin den Jahren 1940 bis 1965 keine Beurkundung von Sterbefällen betreffend Wilhelm Henck und Emma Henck, geb. Heyde“ gebe. Auch eine Beisetzung oder Grabanlage konnte bei der Friedhofsverwaltung nicht ausfindig gemacht werden. Ich rufe den Standesbeamten an und frage ergänzend, da Emma Henck ja in Treysa geboren wurde, ob sich vielleicht im Geburtenbuch ein Hinweis auf ihr Ableben befinde. Er bestätigt mir zwar, dass es eine gesetzliche Bestimmung gebe, die einem Standesbeamten am Sterbeort eine Mitteilung an den Geburtsort auferlegt, in diesem Fall lag 1871 als Geburtsdatum aber vor dem Beginn der standesamtlichen Aufzeichnungen, sonst hätte er diese Möglichkeit sofort geprüft. Dass eine solche Meldung an das zuständige Kirchenbuch ergangen sei, hält er indes für nicht sehr wahrscheinlich. Er meint aber, dass eine Anfrage in Trier, dem Geburtsort von Wilhelm Henck, auf jeden Fall sinnvoll sei.

Ich habe mich also geirrt, als ich meinte, die Urgroßeltern könnten in Treysa verstorben und auch begraben sein. Die Grabstätte auf dem Treysaer Friedhof, an die ich mich aus Kindertagen erinnere und die ich immer in Verbindung mit den Urgroßeltern brachte, gehörte vielleicht nur den Vorfahren von Emma Heyde. Gleichwohl sehe ich den hohen schwarzen Obelisk und das mit schweren und schon rostigen Ketten umrahmte Grab im Geiste noch heute vor mir.

Als ich mir die Meldeunterlagen von Rektor Henck wieder durchlese, fällt mir auf, dass er 1920 in Kassel mit seiner Frau in die Spohrstraße 9½ einzog. Ab Sommer 1924 wechselt jedoch allein der Ehemann seinen Wohnsitz mehrfach in rascher Folge innerhalb der Stadt, erst in die Jägerstraße, dann in die Kölnische Straße und schließlich im Januar 1925 zum Ständeplatz. Ende Juni 1925 kehrt er jedoch wieder in die Spohrstraße 9½ zurück. Was haben diese häufigen Ummeldungen im Zeitraum von zehn Monaten zu bedeuten? Ehestreit und Versöhnung? Fand in dieser Zeit das statt, was zur vorzeitigen Pensionierung des Rektors führte, jenes „außereheliche Verhältnis“, aus dem das uneheliche Kind hervorging? War das Kind vielleicht 1925/26 geboren worden? Um 1920 ist in Wilhelm Hencks Lehrbüchern noch von „Rektor Henck“ die Rede, in einem Rechenbuch von 1926 dann aber von dem „Rektor i. R.“, so dass in diese Jahre der Beginn seines verfrühten Ruhestandes und wohl auch das, was zu ihm führte, gefallen sein müsste.

Mit der Post kommt nochmals eine sehr ausführliche Antwort von der Berliner Senatsverwaltung wegen der Grabstelle von Peter Henck. Auf Grund einer Novellierung des Gräbergesetzes im Jahre 1993 sei das Dauerruherecht in Familiengräbern erloschen, doch habe man die hiervon betroffenen Gräber in der Folge in geschlossene Anlagen (Reihengräber) integriert. Diese Maßnahme sei auch damit begründet, dass geschlossene Gräberfelder „eindrucksvoll das Ausmaß der Kriege“ dokumentierten (Totengedenken anstelle von Heldenverehrung). Zudem herrsche in Berlin ein Ãœberfluss an Bestattungsflächen, was zur Schließung von Friedhöfen oder Friedhofsteilen und zur Verlegung von Gräbern der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft geführt habe. Peter Henck sei nicht, wie ich geschrieben hatte, auf einem „Kriegsgräberfriedhof“ bestattet, sondern in einer „speziell eingerichteten Abteilung für alle Opfergräber, die sich auf dem Friedhof in sogenannter Streulage befanden“. Das Kriegsgräbergesetz unterscheide zehn verschiedene Opfergruppen, von denen die KZ-Opfer nur eine seien. Eine räumliche Trennung der Gräber nach Opfergruppen sei aber nicht vorgenommen worden, da dies eine dem Amt nicht mögliche Bewertung der Einzelschicksale bedeuten würde. Darüber, dass Peter Henck zum „Volkshelden der DDR“ ernannt worden sei, sei nichts bekannt; möglicherweise könne mir das Landesarchiv Berlin oder das Brandenburgische Landeshauptarchiv in Potsdam mit weiteren Auskünften behilflich sein. Dem Brief liegen vier Photokopien bei: beide Seiten einer kleinen Karteikarte und zwei Listen von Grabstellen mit verschiedenen Signaturen und Abkürzungen, die wenig mehr als Peter Hencks Namen und Todestag ausweisen. Den zweiseitigen Brief sende ich als Fax an H. P. und kündige in einer E-Mail Photokopien der übrigen Dokumente an.

Aus dem Einwohnermeldeamt in Wedel trifft ein Brief ein, der mir mitteilt, Fritz Karl Wilhelm Henck sei gemeldet gewesen in der Austraße 5 in 22880 Wedel; der Einwohner sei verstorben. Das ist alles. Für diese mageren Auskünfte ist eine Verwaltungsgebühr in Höhe von 8,55 Euro fällig, und ein zum Teil bereits ausgefülltes Ãœberweisungs-Formular liegt gleich bei. Dass der Einwohner, der vor 112 Jahren geboren wurde, nicht mehr am Leben ist, hatte ich mir ja fast schon gedacht; nun habe ich es aber auch schriftlich. Ich versuche, die Bearbeiterin anzurufen, doch ist sie gerade in einer Besprechung; sie schreibt sich meine Telefonnummer auf und will in der nächsten Stunde zurückrufen.

Diese Rückruf ist tatsächlich erfolgt, doch beruft sich Frau H. nach meinen ausführlichen Erklärungen über die Art meiner Forschung kühl auf die strengen Datenschutzbestimmungen und scheint allenfalls geneigt, mir noch Sterbetag und -ort nachzureichen im Rahmen einer „erweiterten Auskunft“ (die dann hoffentlich nicht mit einer weiteren Rechnung zu Buche schlägt). Auf meine Frage, wie ich dann überhaupt an noch überlebende Nachkommen herantreten könne, meint die Dame, dass dies nur über das Standesamt möglich sei (was nicht allzuviel Sinn macht, da man dort kaum etwas von den Adressen wissen dürfte, sobald jemand umgezogen ist). Aber Frau H. will sich mit einer Kollegin besprechen und mir Nachricht geben. Man müsse jedenfalls ein berechtigtes Interesse erkennen, und der Anfragende müsse einen Erbschein oder andere Unterlagen vorlegen, die die verwandtschaftlichen Beziehungen zum Gesuchten darlegen. Auch dass man einen Titel führe, scheint die Sache zu befördern. Ich traue meinen Ohren nicht und frage etwas spöttisch zurück, ob wirklich gemeint sei, dass ich Doktor oder Professor sein müsse, damit man mir Auskunft gebe; doch die Dame erkennt vielleicht die Bedenklichkeit einer solchen Voraussetzung, weicht aus und spricht lieber von den anderen Papieren. Es hieße ja mit anderen Worten auch, dass man bei einem Titelträger eher ein berechtigtes Interesse unterstellt als bei einem anfragenden Familienangehörigen, der sogar, wie in meinem Falle, nachweislich denselben (und nicht allzu häufigen) Familiennamen trägt. Vielleicht muss aber der Herr Professor ja seine Habilitationsurkunde per Einschreiben in notariell beglaubigter Photokopie einreichen, um seine Anfrage zu begründen. Ich weise darauf hin, dass mir hier erstmals solche Schwierigkeiten bei der Suche nach einem Familienmitglied begegnen und ich mich auf eine beachtliche Zahl von Melde- und Standesämtern berufen könne, die anders verfahren und meine Anfragen auch ohne Vorlage solcher Legitimationen umgehend beantwortet hätten. Man nimmt dies ungerührt zur Kenntnis und wird mich benachrichtigen, lautet es abschließend.

*

28.5.2004, Freitag vor Pfingsten. – Ich brach gestern meine Anfragen ab, nachdem ich von der zentralen Auskunftsstelle des Bundesarchivs in Aachen die Nachricht erhalten hatte, dass unabhängig vom Erfolg einer Suche Kosten in Höhe von 15,34 Euro pro halbe Stunde fällig würden usw. Frische Luft war vonnöten, mein Zimmer wurde mir zu eng, und ich heiße nicht Bill Gates. So machte ich eine lange Fahrt mit dem Fahrrad durch die Felder, um auf andere Gedanken zu kommen und mich zu vergewissern, dass die Welt nicht nur aus Toten, Gräbern und Vergangenheit oder aus Gebührenordnungen, Archiven und Schriftgut besteht. Alle Bäume und Büsche tragen nun ein grünes und frisches Laub. Kornblumen, Butterblumen blühen, ich höre einen Kuckuck rufen, sehe einen Kiebitz auf einer Wiese. Es ist frisch und ziemlich windig wie stets in den vergangenen Wochen, doch ich genieße es sehr, mich zu bewegen, unter freiem Himmel zu sein und in die Ferne blicken zu können. All dies sind Dinge, die es ganz umsonst gibt für jeden, der Augen hat und sehen kann. Das Getreide steht schon hoch, die jungen Maispflänzchen wirken aber noch recht kümmerlich, denn sie brauchen mehr Wärme. Regen überrascht mich, und ich wickle die kleine Kapuze aus dem Kragen meiner Jacke, setze sie aber schnell wieder ab, da der Fahrtwind sie mir vom Kopf bläst oder sie über meine Augen rutscht und die Sicht behindert. Doch bald hört es wieder auf zu regnen, und als ich nach Hause zurück komme, bin ich bereits wieder trocken.

Ich habe erst heute Morgen der zentralen Auskunftsstelle des Bundesarchivs für ihre Information gedankt und geschrieben, dass ich mir diese Ausgaben derzeit nicht leisten könne. Auch bei Frau G. von der Senatsverwaltung bedanke ich mich. Am Vormittag rief H. P. an und bedankte sich für meine gestrigen Faxzusendungen. Er hat das ganze letzte Wochenende mit der Durchsicht der Papiere von Peter Henck verbracht (ihm war nicht alles lesbar, denn er kann die alte deutsche Schrift nicht immer entziffern) und hat inzwischen das ihm wichtig Erscheinende photokopiert und an mich abgeschickt, immerhin 63 Seiten. Das freut mich natürlich sehr. Es gebe aber noch viele Schriftstücke gerade von Fritz Henck, der eine ihm ziemlich unleserliche enge deutsche Handschrift schrieb. Ich könne aber, wenn Lücken entstehen, das Fehlende von ihm noch nachgereicht bekommen. Auch aus der Festung Dömitz seien einige Papiere darunter, es habe sich hier wohl um eine chemische Fabrik gehandelt, in der Peter beschäftigt gewesen sei. Möglicherweise sei hier ja Giftgas hergestellt worden, wie man es schon im Ersten Weltkrieg verwendet habe. Ich meine aber, inzwischen etwas von einer Munitionsfabrik in der Festung Dömitz gehört zu haben (A. Mahal); wir werden sehen.

H. P. erwähnt, dass er eine „schlimme Sorte“ von Briefe jetzt ganz ausgeklammert habe, die eine Auseinandersetzung mit einem Vermieter namens Behnke beträfen; er nennt keine Einzelheiten, erwähnt aber nochmals, dass Fritz Henck irgendwann gegen Philipp Scheidemann ausgesagt habe, was in seiner Familie zu einer „totalen Ächtung“ geführt habe. Von Fritz Henck gebe es unter anderem ein Passbild, das er auch kopiert habe; zumindest vermutet er, dass es sich um Fritz handele, da auf der Rückseite etwas von der Reeperbahn in Hamburg stehe. Vielleicht kann ich das Photo identifizieren, denn ich meine, Fritz wiedererkennen zu können, teils aus unmittelbarer Erinnerung, teils weil ich früher des öfteren Photos von ihm bei meinen Eltern sah. Ich verspreche, den Eingang der Kopien zu bestätigen, mir alles genau durchzulesen und wo nötig auch zu transkribieren.

Aus Wedel trifft eine sehr knappe E-Mail von Frau H. ein, die besagt, dass Friedrich Henck in Wedel am 19. November 1966 verstorben sei. Ich bedanke mich für den Nachtrag. Damit ist diese Suche nach Fritz Hencks Lebensdaten vorerst abgeschlossen, und sein Todestag und -ort ließen sich schließlich doch feststellen. Die Suche nach Liane und Gerlinde Schramm werde ich erst einmal verschieben, um mich von der datenschützenden Hilfsbereitschaft des Wedeler „Bürgerservice“ zu erholen.

Die Post kommt schon gegen 13 Uhr, doch leider ist H. P.s Zusendung an mich noch nicht darunter.

Da die Sonne scheint und die Temperaturen allmählich steigen, hole ich, wie schon des längeren geplant, Fritz’ Ölgemälde mit der Vase und den roten Mohnblumen aus dem Heizungskeller hervor, bringe es in den Garten und reinige den Rahmen vorsichtig erst mit einem sehr weichen Graphikerbesen, dann mit einem angefeuchteten Tuch von Spinnweben, Staub, Fliegendreck und Resten weißer Wandfarbe. Das Bild hat mit einer Breite von 124 cm und einer Höhe von 97 cm (einschließlich des breiten Rahmens) ein beachtliches Format, und rechts unten sieht man eine Signatur, von der man lediglich ein „Prof.“ am Anfang lesen kann. Dann folgt ein Doppelname, der aber gleich dem „Professor“ wohl nur ein augenzwinkerndes, vielleicht auch auf Wertsteigerung bedachtes Pseudonym ist, hinter dem sich Fritz Henck verbarg. Etwa in Höhe der Signatur kann man ein Wort im Untergrund erkennen, das wie „grün“, mit Großbuchstaben geschrieben, aussieht. Die Vase scheint auf einer Fensterbank zu stehen, und es will scheinen, als könne man durch das Fenster ins Freie blicken. Denn umrissartig lässt sich im Hintergrund auf der rechten Seite etwas erkennen, das wie zwei Häuser aussieht, und auf der linken Seite gibt es Ähnliches.

Die Ölfarbe des Gemäldes, das aus dem Nachlass meines Großvaters Karl Christel in Treysa stammt, ist an vielen Stellen rissig geworden, und die weiße Grundierung wird in den Sprüngen sichtbar. Noch immer habe ich kein Bedürfnis, die Vase mit Mohn- und Kornblumen und den Margeriten an der Wand hängen zu haben und vielleicht täglich zu sehen. Andererseits möchte ich das Bild nicht länger im Keller und gänzlich im Abseits wissen, nachdem ich so viel schon über Fritz erfahren und aufgeschrieben habe. Und da es unter der Dachschräge meiner kleinen Bibliothek in einem toten Winkel hinter zwei großen Regalen noch etwas Platz gibt, an dem ohnehin zwei große Bilder von Dietmar Keilitz stehen, kommt das Gemälde an ungleich würdigerem Ort in gute, wenngleich abstrakte Gesellschaft.

Ich weiß, dass ich auch eine kleine Zeichnung von Fritz besitze, die er einmal mit Buntstift malte. Sie stellt einen birkengesäumten Weg dar, der zwischen Feldern verläuft und in etwas kitschigen Farben ausgeführt ist. Mag sein, dass der Maler aber eben keine anderen Farben zur Hand hatte und er dennoch einen Eindruck nach der Natur schnell festhalten wollte. Freilich kann ich das Bildchen schon längere Zeit nicht finden und habe es wahrscheinlich in einem Buch abgelegt, wo es zwar gut geschützt, jedoch nur schwer wiederauffindbar ist. Wahrscheinlich habe ich aber kein beliebiges Buch genommen, sondern eines, das in irgend einem Zusammenhang mit Fritz steht. Aber welches? Ich werde ein Auge darauf haben und die Zeichnung bei nächster Gelegenheit besser verwahren.

*

29.5.2004, Pfingstsamstag. – Ich habe das Ölbild von Fritz nochmals bei Tageslicht betrachtet. Was mir zuvor auf der rechten Seite im Hintergrund als Häuser im Freien erschien, ist vielleicht etwas ganz anderes, nämlich eine Spiegelung auf der Fensterscheibe, die Dinge zeigt, welche sich auf dem Tisch vor der Blumenvase, also in Richtung des Betrachters, und nicht von ihm weg befinden. Das eine der früheren „Häuser“ wäre dann ein kleiner Kasten in der Größe einer Zigarrenkiste, jedoch etwas höher, während das hintere Haus sich als eine liegende Weinflasche offenbart, deren sich verjüngender Hals außerhalb des Bildes ist und deren Etikett ich nun aber doch einigermaßen deutlich unterscheiden kann. Auch sind die Formen abgerundet wie bei einer Flasche, nicht eckig wie bei einem Haus. Das Haus auf der linken Seite kann ich freilich immer noch nicht genauer deuten. Falls es überhaupt ein Haus ist, ruht dieses auf einer eigentümlich hohen Balkenkonstruktion und müsste dann tatsächlich im Freien stehen. Es aber ebenfalls als Spiegelung von etwas auf dem Tisch und vor der Vase Stehenden zu begreifen, will mir nicht gelingen. Die liegende und somit geleerte Weinflasche würde natürlich gut zu Fritz’ Trinkgewohnheiten passen, wenn ich diesen Punkt auch nicht überstrapazieren möchte. Es mag ganz andere Gründe gegeben haben, die Flasche in das Bild einzubeziehen, und ich werde sie kaum je erfahren.

 

 

Achtes Kapitel
Entnazifizierung. Die „P.-Papiere“

Am selben Tag. – Ich will hier besser ein neues Kapitel beginnen lassen, denn gerade hat mir die Post die angekündigten Photokopien von H. P. gebracht sowie eine Nachricht aus dem Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden bezüglich der Akten zur Entnazifizierung. Besonders mit den Dokumenten von H. P. scheint mir eine neue Seite im Verlauf dieser Forschungen aufgeschlagen, das erkenne ich bereits beim flüchtigen Durchblättern der gesammelten Briefe, behördlichen Unterlagen, Zeichnungen, Gedichte, aber auch beim Anblick der Absender und im gelegentlichen Lesen dessen, was da aufgeschrieben steht. Ich bestätige H. P. in einer E-Mail den Erhalt seiner Zusendung und bedanke mich.

Doch der Reihe nach. Ein Herr Dr. D. aus dem Hessischen Hauptstaatsarchiv teilt mir mit, dass bei der Recherche nach Entnazifizierungsunterlagen der Mitglieder meiner Familie ein „merkwürdiges Phänomen aufgetreten“ sei. Denn man konnte nur zu Friedrich Henck etwas finden, während nichts über meinen Vater und Urgroßvater Wilhelm zu ermitteln war. Ob ich sicher sei, dass die Gesuchten zwischen 1945 und 1950 ihren Wohnsitz tatsächlich in Treysa hatten? Von Wilhelm Henck, der damals vielleicht schon nicht mehr lebte, kann ich dies nicht Bestimmtheit sagen, doch bei meinem Vater steht dies fest, da es sich ja um die Jahre handelt, in denen er in Treysa heiratete, seine Arbeit in Hephata begann und in der meine Schwester und ich in der Burggasse 8 geboren wurden. Ich werde mit dem Archivar nach den Feiertagen einmal telefonieren.

Dem Brief liegen drei Photokopien bei, nämlich die beiden Seiten des Meldebogens von Fritz Henck, den er zur Feststellung einer nationalsozialistischen Belastung auszufüllen hatte, sowie ein handschriftlicher Begleitbrief, in dem er darauf hinwies, dass er diesen Bogen bereits einmal ausgefüllt und eingesandt habe, dass dieser aber wohl verloren gegangen sei. Er bittet um beschleunigte Bearbeitung, da er aus beruflichen Gründen den Bescheid dringend benötige. Beide Schriftstücke sind auf den 25. November 1948 datiert, der Begleitbrief ist an die Spruchkammer des Kreises Ziegenhain, z[ur] Z[ei]t Marburg-Lahn gerichtet. Fritz’ Adresse „(16) Treysa i[n] Hessen, Bez[irk] Kassel, Postfach 11, Herbstgasse 5“. Eine Woche später erhält der Meldebogen den unterschriebenen Stempel: „Nichtbetroffenenbescheid nach Formblatt 11 am 2.12.48 ausgefertigt. Öffentl[icher] Kläger“.

Inhaltlich bestätigt der Meldebogen allein die Mitgliedschaft in der DAF (Deutsche Arbeitsfront), der größten Massenorganisation „aller schaffenden Deutschen“ im Dritten Reich. In den Jahren zwischen 1935 und 1944 sei er Angestellter der Firmen Howaldtwerke, M. Stülcken und Ph. Reemtsma, alle in Hamburg, gewesen. Unter Bemerkungen schreibt Fritz: „Ich gehörte keiner Organisation an (s. o.) und wurde verschiedentlich gemaßregelt und ins Gefängnis gesetzt, zuletzt wegen (§ 5) Verbrechens gegen die Wehrfähigkeit des dtsch. Volkes zu 4 Jahren Gefängnis verurteilt (Militärgericht).“

Howaldt und Stülcken waren früher bedeutende Werften im Hamburger Hafen, Reemtsma eine Zigarettenfabrik. Ich erinnere mich, dass der letzte Name gelegentlich im Zusammenhang mit Fritz, der ein starker Raucher war, genannt worden war. Auch dass Fritz irgendwann im Gefängnis einsaß, ist mir nicht ganz neu, doch von den Gründen habe ich nie etwas verlauten hören. Ich werde in Wiesbaden nachfragen, wo man nach solchen Akten suchen könne.

Mit der Beschreibung der Dokumente von H. P. werde ich morgen beginnen.

*

30.5.2004, Pfingstsonntag. – Gestern Abend las ich noch etwa ein Drittel des neuen Materials, das H. P. chronologisch aufsteigend von 1931 an vorgeordnet, aufgelistet und sogar paginiert hat.

Welch ein Chaos, welcher Sumpf und auch welche Not waren das Leben dieses jungen Peter Henck. Immer wieder macht er neue Anläufe, Fuß zu fassen, nimmt Lehren, Anstellungen, Ausbildungen auf, kommt in Heime und Lager, und immer wieder scheitert er, verstößt gegen die übernommenen Verpflichtungen und löst seine gegebenen Versprechen nicht ein. Er kommt zu spät oder oft auch gar nicht zur Arbeit, wird krank, wird entlassen, kehrt zurück zu der Mutter in Berlin oder dem Vater in Hamburg, die sich im Sorgerecht abwechseln, wohnt bei der nachgiebigeren Schwester und ihrem Mann, der ihm mit Strenge begegnet. Dann verschwindet er plötzlich wieder für mehrere Tage, kehrt zerlumpt und verwahrlost zurück, borgt sich Geld, geht auf der Straße betteln und ist obdachlos, wird mehrfach von der Polizei aufgegriffen, kommt vor Gericht, kommt in Gefängnisse, das Strafmaß steigt bis auf mehr als zwei Jahre. Dann steckt man ihn in sogenannte Arbeits- und Erziehungslager. Alle Maßnahmen, ihn zu einem geregelten Leben zu bewegen, greifen ins Leere, trotz seiner vielfachen Versicherungen und Beteuerungen, sich zu Ã¤ndern und zu bessern. Im März 1941 entlässt man ihn aus einer in Dömitz ansässigen Sprengstofffabrik auf Grund einer polizeilichen Anordnung, im April sitzt er erneut im Hamburger Polizeigefängnis ein, von hier aus bringt man ihn im Juni 1941 in das KZ Sachsenhausen, wo er fünf Monate später stirbt.

Man nimmt kein Blatt vor den Mund in den an ihn gerichteten Briefen, von denen sich Durchschläge erhalten haben. Er sei es nicht wert, dass er lebe und die Sonne ihn bescheine, heißt es da unter den unzähligen Vorhaltungen und Vorwürfen, die man ihm, zum Teil vielleicht auch zu Recht, macht; doch die Härte der Wortwahl kennzeichnet das Ausmaß der vieljährigen Unruhe, die von dem „Sorgenkind“ der Familie, wie es einmal heißt, ausgeht. Man glaube nicht, dass er sich je ändere, zu oft habe er seine Familie enttäuscht, als dass man ihm noch irgend Glauben schenken werde. Das Maß ist voll, alle Geduld sei erschöpft. Dies war schon 1935/36 so, zu einer Zeit, da Peter 20 oder 21 Jahre alt war. Aber wenn man sich innerlich auch ganz von ihm abwendete, unterstützte man ihn doch immer wieder von Neuem, besorgte ihm Papiere und Bescheinigungen, unternahm Behördengänge, mahnte, bat, drohte und stellte Bedingungen, die dann einmal mehr von ihm nicht eingehalten wurden.

Selbst wenn H. P. mir nur die wichtigsten Papiere photokopiert und angesichts der Fülle des Materials einiges vorerst ausgeklammert hat, formt sich während der Lektüre mehr und mehr ein äußerst bedrückendes und beklemmendes Bild, zumal wenn man im voraus weiß, wo und wie Peters Leben endete. Alle Korrespondenz scheint bei den P.s zusammengelaufen zu sein, denn neben Peters eigenen Briefen haben sich die seiner Mutter, seiner Schwester, seines Schwagers, seines Vaters und selbst ein zweiseitiger handschriftlicher Brief von Rektor i. R. Wilhelm Henck aus Kassel erhalten. Und auch aus Kopenhagen ist ein Brief von Peters Tante Louise Scheidemann erhalten, die ihren Vater, den alten Politiker, ins Exil begleitet hatte.

Im Laufe des Tages lese ich den Rest der Dokumente. Am Ende gibt es mehrere Gedichte von Fritz, auch ein auf einer Postkarte gedrucktes aus dem Jahre 1935, ein Loblied auf das NSKK, das „Nationalsozialistische Kraftfahrkorps“, und ein handschriftliches Gedicht, das sich „Das Lied des Bettlers“ nennt und von 1922 stammt. Fritz übernahm es in seinen Sprechchor „Zum Licht“, und auch in „Deutsche Jugend marschiert“ ist einiges daraus wiederzufinden. Es nimmt sich, bedenkt man die mindestens neunfache Verurteilung von Peter Henck wegen Bettelei – er selbst nennt Anfang 1941 in einem Brief diese Zahl unter Angabe der verbüßten Strafzeiten –, fast schon aus wie eine Vision von der Zukunft seines Sohnes. Es lautet:

     

          Das Lied des Bettlers.

          Man kommt sich so erbärmlich vor
          Steht man vor einem fremden Tor
          Und muß zu betteln wagen!
          Die Tür geht auf, – nur wenig weit, –
          Man hat zum Bitten kaum die Zeit,
          dann ist sie zugeschlagen.

          Gar Mancher brummt: „Schert Euch hinweg,
          Ihr Bettelvolk aus Staub und Dreck!
          Ihr wollt nur bummeln, stehlen!
          Geht hin zur Arbeit! Ãœberall
          Sucht Knechte man für Haus und Stall,
          Ihr braucht nicht lang zu wählen!“ –

          O, wenn Ihr wüßtet, Menschen, wie,
          – Wir armen Bettler sagen’s nie!, –
          Wie uns das Unglück kettet!
          Ein Fehltritt nur, ohn’ eig’ne Schuld,
          Und aus ist’s mit des Himmels Huld,
          Man liegt im Dorn gebettet!

          Wir mühen uns, tagaus, tagein,
          Ein neues Glied der Welt zu sein,
          Doch alles hetzt nur weiter .... – –
          Her mit der Arbeit, unserm Recht! – –
          Wie gern, ach, gerne wär’ ich Knecht,
          Doch – im Papier steht leider:

          „Er stahl dem Herrn vor einem Jahr
          Vom besten Brot, – zweimal sogar, –
          Stand vor Gericht, der Sünder!
          Es mildert’ nicht der Stafe Maß,
          Daß selber er vom Brot nicht aß,–
          Es gab’s an seine Kinder ....!“ – – – –

          Wer reicht mir nun noch Arbeit her?
          Wer will mich Dieb noch haben?, wer?
          Ich will’s auf’s Neue wagen! .......
          Doch wieder: Tür auf ... – wenig weit –
          Ich hab’ zum Bitten kaum die Zeit,
          Da ist sie zugeschlagen!


                                                               23.IV.[19]22
                                                                                F[ritz] H[enck]

 

Auch zwei Zeichnungen von Fritz sind vorhanden; eine davon steht neben einem Gedicht voll quälender Schuldgefühle und Selbstvorwürfe und ist „Hanna!“, dem Namen der damals neunjährigen Tochter Johanna, unterschrieben; eine ist betitelt „Peter Henck, Scheidemann ebei [sic]“ und ist mit „Papa“ signiert. Sie zeigt einen etwas dicklichen Jungen in kurzen Hosen, der die Hände in den Taschen seiner mit einer Schleife am Hals zusammengehaltenen Jacke vergraben hat. Sein Gesichtsausdruck ist ernst, verschlossen, womöglich etwas trotzig, sein Alter acht, neun Jahre, vielleicht auch älter. Was das Wort „ebei“ bedeutet, ist mir rätselhaft; eine familiäre Abkürzung aus der Kindersprache vielleicht.

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31.5.2004, Pfingstmontag. – Ein Passbild, von dem H. P. nicht genau weiß, wen es darstellt, zeigt Fritz. Mich beschleicht ein heimliches Grauen, wenn ich es betrachte. Es ist Fritz, auch wenn ich ihn anders, älter, weicher, mit mehr Falten im Gesicht in Erinnerung habe. Mein Verhältnis zu diesem seltsamen Mann, mit dem ich mich nun schon seit einigen Wochen befasse, hat sich zu schnell wandeln müssen, nachdem ich ihn aus der kindlichen Erinnerung heraus immer noch verehrte und etwas bewunderte für seinen Nonkonformismus und seine künstlerische Ader. Doch mein Mehr an Wissen über die Art, wie er lebte, was er auch tat, dachte und schrieb, stimmt oft nicht mehr überein und will nicht zusammenpassen mit meinen Erinnerungen und dem, was man in Briefen über ihn sagt. Es ist dies jedoch eine Beobachtung, die ich im Laufe der vorliegenden Aufzeichnungen wiederholt gemacht habe; denn immer wieder sehe ich mich zu Revisionen dessen veranlasst, was mir aus kindlich unbedingter Sicht heraus als letztgültige Eindrücke erschienen waren, so dass ich fortan ganz darauf verzichten werde, Älteres entscheidend zu überarbeiten und im Hinblick auf seine Einschätzung an die Gegenwart anzupassen. Ich habe mich nun doch zu oft geirrt. Die neuen Quellen und mein fortgeschrittenes Alter lassen mich vieles anders sehen, und ich muss erkennen, dass ich kaum je Abschließendes werde zu sagen haben, nicht einmal in Details. Zu verschlungen sind die Schicksale und Motivationen, und das, was ich jetzt aus den Briefen und anderem ersehe, ist nicht die plötzlich ins Licht tretende Wahrheit, sondern allenfalls ein Trittstein mehr auf dem Weg zu ihr. Vielleicht komme ich aber unversehens, unbemerkt von dem geraden Weg ganz ab und bilde mir nur noch ein, in die richtige Richtung zu gehen. Jede neue Quelle verändert das Vorangegangene, färbt das Bekannte auf seine Weise, und wenn etwas zunimmt, dann allenfalls mein Bewusstsein, vieles nicht richtig oder überhaupt nicht beurteilen zu können. Ich weiß, dass ich sinngemäß dies schon einmal hier gesagt habe, aber ich möchte es wiederholen.

Ein Ausschnitt aus der Rundfunkzeitschrift „Funk-Woche“ zeigt an, dass am Sonntag, dem 7. April 1935 eine Erzählung von Fritz Henck im Hamburger Sender auf dem Programm stand: „Familie Zwitscher“, Erzählung von Fr. W. Henck, Altona-Osdorf, heißt es dort.

Und dann gibt es schließlich noch die gedruckte Verlobungsanzeige meiner eigenen Eltern, datiert auf das Osterfest 1943. Unter meines Vaters Namen befindet sich der Zusatz „cand. med. und San.-Uffz. in einer Studentenkompagnie“. Von einem solchen Rang eines Sanitäts-Unteroffiziers erfahre ich hier erstmals. Warum wurde dies nie erwähnt? War das etwas Schlimmes oder etwas zu Unbedeutendes? Und dass meine Mutter sich bereits achtzehnjährig verlobte, wusste ich ebenfalls nicht.

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Dienstag, 1.6.2004. – Ich arbeite die neuen Daten aus den Briefen und anderen Dokumenten in die chronologische Ãœbersicht von Peter Henck ein und werde dabei mit dem Inhalt der erhaltenen Schriftstücke vertrauter. Wie deprimierend ist das alles, was ich da lese.

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Mittwoch, 2.6.2004. – Fortsetzung und vorläufiger Abschluss der gestern begonnenen Arbeiten. Mit Dr. D. im Wiesbadener Hauptstaatsarchiv telefoniere ich nochmals wegen der Entnazifizierungsunterlagen meines Vaters. Mir will nicht so ganz einleuchten , dass es keine solchen geben soll. Und so erkläre ich, dass man auch in den zuständigen Bereichen für Schrecksbach und Marburg (Ketzerbach) suchen könne, falls diese Orte nicht in der bisherigen Suche inbegriffen waren. Aber dies verneint der Archivar; allein in Marburg gebe es sechs verschiedene Bezirke, und man müsse auch bei kleinen Ortschaften (wie Schrecksbach), um vor Ãœberraschungen sicher zu sein, jedes Mal erneut nachprüfen, wo die Akten deponiert worden seien. Er wird sich nochmals mit den neuen Angaben auf die Suche machen und mir Nachricht geben.

In einer E-Mail des Archivars von Schulpforte erfahre ich, dass mein Vater dort vom 18. Oktober 1932 bis zum 27. März 1934 Schüler war. In gewisser Weise ist dies ja bemerkenswert, und ich habe es bisher nie unter diesem Blickwinkel gesehen, dass beide Söhne, das heißt die beiden einzigen männlichen Nachkommen der Brüder Fritz und Karl und Namensträger der Familie, also Peter Henck und Helmut Henck (Jahrgang 1915 bzw. 1920), mehr oder minder große Erziehungsprobleme verursachten. Ãœber die Schulzeit von Peter Henck weiß ich allerdings nur wenig mehr als das, was ich gerade in den P.-Papieren gelesen habe. Demnach ging Peter Henck auf die „Böttchersche Privatschule“ in der Berliner Knesebeckstraße und schloss hier eine höhere Schulbildung ab. Nicht minder bemerkenswert ist aber auch, dass der gemeinsame Großvater beider der Schulrektor Wilhelm Henck war, den man seinerseits wegen „Verfehlungen“ aus dem Schuldienst entlassen haben soll und über dessen menschliche und politische Haltung in den Ereignissen um Peter nicht viel Gutes erwähnt wird. Er scheint sich 1933 dem Nationalsozialismus deutlich angepasst zu haben, was sich mir in dem von ihm erdachten und früher erwähnten Gesellschaftsspiel „Reichsautobahn“ zwar andeutete, was nun durch die Briefe aber auch bestätigt wird.

Auch dieses Autobahnspiel erscheint mir, nachdem ich Fritz Hencks gedrucktes Huldigungslied „Wir alle vom NSKK“ kennengelernt habe, in anderem Licht. Denn hier vereinten sich die Interessen von Rektor Henck, seiner Frau Emma und ihrem Sohn Fritz doch in recht auffälliger Weise. Und da Fritz’ Lied in Kassel im Verlag H. Bekker spätestens 1935 gedruckt wurde, während er ja seit 1933 in Hamburg wohnte (dies schreibt er 1948 in seinem Meldebogen zur Entnazifizierung), halte ich es für nicht zu weit hergeholt, eine Verbindung zwischen diesem allem zu vermuten.

Aus dem Stadtarchiv in Kassel trifft die Antwort ein, dass es sich bei den Abkürzungen auf Fritz’ Meldekarte tatsächlich um polizeiliche Suchanzeigen handelt, die im Polizeianzeiger veröffentlicht worden seien. Die gesamte Meldekartei sei nämlich bis zum Jahre 1945 von der staatlichen Polizei geführt worden. Ich werde auch diesen Archivar nochmals anrufen; es scheint sich ja um gedruckte und veröffentlichte Anzeigen gehandelt zu haben, wenn ich einen solchen oder auch nur ähnlichen Titel in dem Zeitraum von 1922 bis 1925, um den es sich handelt, nicht bibliographieren konnte.

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Donnerstag, 3.6.2004. – Ich werde heute einige Photokopien in Zeven machen und an H. P. schicken: die Meldekarten aus Kassel, die Schriftstücke, die sich auf die Grabstelle auf dem Stahnsdorfer Friedhof beziehen, einige Sachen von und über Fritz sowie eine Abschrift des Briefes von Rektor i. R. Henck, deren Originale mitunter schwer zu entziffern waren.

Mittags telefoniere ich mit Herrn K. im Kasseler Stadtarchiv. Ãœber das Berliner Anzeigenblatt weiß er zwar nichts zu sagen und kann auch nicht mit Sicherheit sagen, ob es sich hier wirklich um eine gedruckte Veröffentlichung handelte, doch als ich ihn im Zusammenhang mit Rektor Henck nach der Ãœberlieferung schulbehördlicher Akten frage, die sich unter Umständen auf dessen vorzeitige Pensionierung beziehen könnten, meint er, dass die Schulaufsichtsbehörde ja dem Regierungspräsidenten unterstand und Akten, falls vorhanden, in das Hessische Staatsarchiv in Marburg gekommen sein müssten. Das ist immerhin schon etwas. Er empfiehlt zur Feststellung der Sterbedaten auch eine Anfrage am Geburtsort, das heißt in Trier, da doch häufiger ein Sterbedatum als Beischrift in standesamtlichen Unterlagen vermerkt sei. Allerdings hat es zur Zeit von Wilhelm Hencks Geburt noch keine Standesämter gegeben, und man ist auf die Kirchenbücher angewiesen; aber einen Versuch sei es wert.

In der Zevener Bücherei ist unter anderem Anneliese Laschitzas umfängliche Biographie über Rosa Luxemburg eingetroffen. Die Begebenheiten um den Mord werden jedoch nur gestreift, und das Buch endet mit der Beerdigung der Politikerin. Über stattgefundene Prozesse gegen die Mörder und die eigentlichen Hintermänner erfährt man hier leider nichts.

Ich schreibe an das Staatsarchiv in Marburg sowie das Stadtarchiv in Trier und schildere, worum es geht.

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Sonntag, 6.6.2004. – Ich schreibe einen Brief (Fax) an das Staatsarchiv in Hamburg mit der Frage, ob sich irgendwelche staatsanwaltschaftlichen, gerichtlichen oder polizeilichen Akten zu Peter und Friedrich Henck erhalten haben, da dieser mehrfach in Hamburg festgenommen wurde oder vor Gericht kam.

Im Internet finde ich ein „Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit“ vom 7. August 1934 (RGBl. I. S. 769), das zweieinhalb Wochen später schon in Peter Hencks Fall zur Anwendung kam. Was das Gesetz genau besagt, konnte ich nicht feststellen, doch habe ich den Text aus dem Reichsgesetzblatt bestellt.

Die chronologische Übersicht über Peter Henck fasse ich in einer zweiten Darstellung zusammen, die sich auf die wichtigsten Stationen seines Lebens beschränkt und zeigt, zu welcher Zeit er an welchen Orten war und was er hier tat.

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Montag, 7.6.2004. – Vom Stadtarchiv in Trier erfahre ich aus einer E-Mail, dass es im dortigen „Standesamtsregister“ (!) von 1865 am Geburtseintrag keinen Vermerk über Todestag und -ort von Wilhelm Henck gebe. Man habe auch die Adressbücher nach 1943 geprüft, doch auch darin sei der Gesuchte nicht zu finden gewesen. Somit könne ausgeschlossen werden, dass er sich 1943 nach Trier gewandt habe.

Bei der Bibliothek der Berliner Humboldt-Universität wiederhole ich meine Anfrage wegen der „Volkswehr“ und erhalte einige Stunden später die Nachricht, dass man die gesuchte Zeitung aus dem Magazin holen lasse und mir innerhalb einer Woche einen Kostenvoranschlag unterbreiten werde.

 

 

Neuntes Kapitel
Unkosten, Verzögerungen, Widerstände

Dienstag, 8.6.2004, vormittags gegen 10 Uhr. – In diesen Stunden zeigt sich auf der Sonne ein kleiner schwarzer Fleck, etwa auf der Stellung von zwei Minuten vor der halben Stunde, betrachtet man die Sonnenscheibe als Ziffernblatt einer Uhr. Es handelt sich um den Transit der Venus, der seit 122 Jahren erstmals wieder zu beobachten ist und den somit wohl kein heute lebender Mensch beobachten konnte. Ich füge das vielleicht hier ein, weil es mir einst möglich war, das Erscheinen eines Buches durch den darin erwähnten Hinweis auf einen ähnlichen Venus-Durchgang im Juni des Jahres 1761 genauer zu datieren, vielleicht auch um anzuzeigen, dass sich die Intensität meiner gegenwärtigen Familienforschungen in gewissem Maße verringert hat. Andere Aufgaben fordern ihr Recht, und die Notwendigkeit, für etwas einträglichere Arbeiten tätig zu werden, wird zunehmend spürbar.

Auch bei der Gedenkstätte Sachsenhausen, an die ich bereits am 6. Mai geschrieben hatte, wiederhole ich meine Anfrage, um auszuschließen, dass meine E-Mail verloren ging.

Als ich im Internet eine Suchmaschine befrage, um zu sehen, ob meine neue Webseite über von Hannenheim bereits auffindbar ist, entdecke ich einen noch unbekannten Brief des Komponisten im Archiv des King’s College in Cambridge (England). Man hat den dort befindlichen Nachlass von Edward Dent erfasst und die Daten ins Netz gestellt, und in seiner Korrespondenz befindet sich ein Brief von Hannenheims vom 2. Dezember 1936. Ich schreibe sofort an das Archiv und erbitte eine Photokopie.

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Mittwoch, 9.6.2004. – Vom Bundesarchiv, wo meine Anfrage wegen der NSDAP- Zugehörigkeiten noch läuft (Fritz, Rektor Henck und mein Vater), kommt eine Rückfrage, ob die Gesuchten alle verstorben seien, denn andernfalls benötige man eine Einverständniserklärung von ihnen. Ich gebe die gewünschten Informationen.

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Samstag, 12.6.2004. – Heute kam ein Brief von der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten („Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen“) mit acht Photokopien als Anlage. Einiges mehr als das mir bereits Bekannte geht doch daraus hervor, und der Hintergrund wird mir verständlicher. Der Mangel an Dokumenten wird damit erklärt, dass die SS im Frühjahr 1945 vor der Befreiung des Lagers fast alle Häftlingsakten vernichtete und das wenige Erhaltene in Archive der Russischen Förderation gelangt sei. Aus diesen Archiven habe man indes Kopien erhalten, die dazu dienten, eine sogenannte Häftlingsnamenkartei aufzubauen, in der die Daten von „Veränderungsmeldungen“ von 1936 bis 1942 und 1944 erfasst worden seien. Anhand der Beilagen, die keine Kopien von Originaldokumenten, sondern maschinell ausgefüllte Formblätter aus der Datenbank sind, wird erkennbar, dass Peter Henck am 3. Juni 1941 als „Arbeitsscheuer“ in das KZ eingeliefert wurde und die Häftlingsnummer 037880 erhielt. Am 9. Juni gab er seine Effekten ab, vom 22. Juni bis zum 3. Juli war er in den Krankenbau eingewiesen; als Haftkategorie ist nunmehr „Asozialer Häftling“ und Block 66 angegeben. Seit dem 18. Oktober 1941 war Peter Henck erneut in den Krankenbau aufgenommen, wo er am 5. November morgens um 7.30 Uhr an Herzschwäche infolge einer Ruhr-Erkrankung verstarb. Einen Tag später wurde sein Tod von einem Standesbeamten in Vertretung namens Kemper im Oranienburger Sterbebuch als Nr. 1511 registriert; als Quelle diente das Sterbezweitbuch, das heute im Oranienburger Standesamt am Schlossplatz verwahrt wird. Vater: Fritz Henck, wohnhaft in Hamburg; Mutter: Hedwig Henck, geb. Scheidemann, wohnhaft in: unbekannt; Beruf: Arbeiter, Konfession: evangelisch.

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Montag, 14.6.2004. – Erneut stellt sich die Kostenfrage zweifach in hinderlichster Weise. Zunächst als mir das Hessische Hauptstaatsarchiv in Marburg die Auskunft erteilt, dass es leider nicht möglich sei, die Bearbeitung von Anfragen, die im privaten Interesse lägen, im Rahmen der Dienstzeiten unentgeltlich durchzuführen. Die Verwaltungskostenordnung für den Geschäftsbereich schreibe die Erhebung von Gebühren vor. Für den Rechercheaufwand und die Ãœbersendung des Ergebnisses würden in meinem Fall voraussichtlich Gebühren in der Höhe von 45 Euro entstehen, die auch dann fällig würden, wenn die Nachforschungen ergebnislos verliefen. Es stehe mir aber die Möglichkeit offen, selbst im Lesesaal zu recherchieren oder jemanden zu beauftragen, dies für mich zu tun. Man sei aber auch in diesen Fällen gehalten, für die Vorlage von Archivgut pro Tag 8 Euro bzw. 40 Euro pro Monat oder 120 Euro pro Jahr zu erheben. Ich rufe den Sachbearbeiter an und bedanke mich für die Nachricht, lehne aber eine Auftragserteilung unter den von mir derzeit nicht tragbaren finanziellen Voraussetzungen ab. Ich frage, wie das Verfahren aussehe, um unmittelbar im Lesesaal zu arbeiten; denn um dort Archivgut einzusehen, müsse ich ja zunächst wissen, ob es solches überhaupt gebe. Aber ich werde belehrt, dass man mir in diesem Fall zunächst die notwendigen Findmittel zur Verfügung stellen werde. Ob dann etwas für mich Brauchbares darin sei, sei eine andere Frage. Im Falle der Ãœberlieferung von Schulakten werde durchaus nicht alles aufgehoben; es sei allenfalls denkbar, aber keineswegs sicher, dass ich etwas von mir Gesuchtes fände.

Aus der Berliner Staatsbibliothek bietet man mir die komplette Kopie der Zeitung „Volkswehr“ als Rollfilm an. Bei 133 Rollfilmaufnahmen Ã  0,40 Euro wären das 53,20 Euro, zuzüglich Porto. Fernleihverkehr sei nicht möglich. Auch hier sehe ich von einer Auftragserteilung unter Hinweis auf die hohen, mich überfordernden Unkosten ab. Wissen ist hierzulande teuer geworden und offensichtlich den Reicheren vorbehalten. So sieht die „Freiheit der Forschung“ im Klartext aus. Das sind alles ja nur „private Interessen“ ohne jeden Bezug zur Allgemeinheit. Immerhin kann ich anhand der Angaben erkennen, dass bei 41 vorhandenen Ausgaben der Zeitung eine jede Nummer wohl aus 2 bis 4 Seiten bestand. Etwas seltsam ist die Angabe 133 Seiten, denn dass dies eine ungerade Zahl ist und es irgendwo eine unbedruckte Seite gegeben haben soll, die man nicht hätte verfilmen wollen, will mir nicht recht einleuchten. Vielleicht rechnet man aber eine Seite für meine Auftragserteilung, ein Photo der Signatur wie einen Besitz-, Zitier- oder Rechtsvermerk mit ein.

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Dienstag, 15.6.2004. – Die Schwierigkeit, als vergleichsweise Unbegüterter an archivarische Informationen zu gelangen, stimmt verdrießlich und nimmt mir etwas von meiner Energie, weitere Suchanfragen in die Wege zu leiten und ständig erneut zur Kasse gebeten zu werden. Vorerst gehe ich daher wieder den Spuren des Komponisten Johann Ludwig Trepulka und des Dirigenten seiner Sinfonischen Dichtung „Die Göttliche“ Julius Katay nach. Auch hier rechne ich nicht mit aufregenden Ergebnissen, doch da ich mit den zuständigen Einrichtungen in Wien durch die biographischen Arbeiten über Rita Kurzmann und Erwin Leuchter schon vertraut bin, geht mir das schnell von der Hand.

Aus der Zevener Bücherei erreicht mich eine E-Mail über mehrere eingetroffene Fernleihbestellungen; darunter „Das Erbrecht“ von Fritz Henck und das Buch „Im Herzen des Ermlands“, aus dem ich Näheres über Guttstadt im ehemaligen Ostpreußen zu erfahren hoffe. Es soll ein Buch mit vielen Augenzeugenberichten sein, wie ich einer Internetseite entnehme.

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Mittwoch, 16.6.2004. – Gestern brachte mir Jutta aus Zeven noch die in der Bücherei eingegangenen Fernleihen mit, doch leider nicht „Das Erbrecht“; denn auch hier handelt es sich um eine Ausgabe, die nur im Lesesaal eingesehen werden darf und darüber hinaus einem Kopierverbot unterliegt. So werde ich mich wieder einmal vor Ort belesen müssen.

Der schwerleibige Band über die sozialdemokratischen Parlamentarier in den deutschen Reichs- und Landtagen, der mehr als tausend Seiten umfasst, enthält eine kleine Ãœberraschung. Ich erinnerte mich nun, dass es einen Namensvetter von Fritz Henck gab, der im Mecklenburgischen Parlament in Schwerin tätig gewesen war, und dass ich vor einigen Jahren einen Artikel „Henck, Fritz“ bereits einmal als Kopie aus diesem Buch bestellt hatte, weil ich sehen wollte, ob hier mein Verwandter gemeint sei. Da dem aber offensichtlich nicht so war, hatte ich die Photokopie, die ich erhielt, irgendwo abgelegt, ohne sie jetzt wiederfinden zu können. Vielleicht hatte ich sie sogar in den Papierkorb geworfen, was ich aber nicht glaube. Nun sehe ich, dass diesem in Rostock gebürtigen Fritz Henck, der von 1868 bis 1928 lebte und ursprünglich Zimmermann war, eine Tätigkeit von „meinem“ Fritz Henck zugeschrieben ward, denn es heißt hier: „seit Jan. 1919 Redakteur der nur vorübergehend erscheinenden ,Volkswehr-Zeitung für die Soldaten der deutschen Republik‘“ (S. 499). Gleichzeitig ist dem Artikel zu entnehmen, dass der Rostocker Fritz Henck von Dezember 1918 bis Juli 1920 Ministerämter in seiner Heimatstadt bekleidete, was eine doch sehr geteilte Persönlichkeit zur Voraussetzung hätte haben müssen, um gleichzeitig parlamentarische und gar ministerielle Aufgaben in Rostock mit redaktionellen Arbeiten in Berlin zu verbinden. Das Ganze ist wohl nichts weiter als eine Verwechslung infolge der Namensgleichheit.

Ein anderes, mit über 600 Seiten ebenfalls recht gewichtiges Buch, das eingetroffen war, trug den Titel „Im Herzen des Ermlands“, und es behandelt die Geschichte von Guttstadt in der Zeit zwischen 1927 und 1945. Ich hatte es im Hinblick auf Peter Henck bestellt, der etwa ein dreiviertel Jahr (1934/35) in Guttstadt in einem Arbeitsdienstlager verbracht hatte. Ich fand auch zwei Artikel in dem Buch, die aus der „Ermländischen Zeitung“ nachgedruckt waren. Der erste stammte vom 16. November 1933 und betraf die festliche Ãœbernahme des Arbeitslagers durch einen neuen Abteilungsführer, an die sich eine Besichtigung des Lagers anschloss. Man sparte nicht mit Lob für die „wohnliche Heimstätte“ und die Verpflegung, die den Arbeitsdienstlern zugedacht war. Das Lager werde in erster Linie bei der Begradigung der Eisenbahnstrecke Kobbelbude – Allenstein eingesetzt. Ein zweiter Artikel vom 22. Februar 1934 meldete in derselben Zeitung die Errichtung eines zweiten Arbeitslagers, das ebenfalls zur Begradigung einer Eisenbahnstrecke dienen sollte. Man versprach sich auch von diesem Lager eine „nicht unerhebliche Förderung des Wirtschaftslebens“ in Guttstadt, da für jeden Mann 2 Reichsmark pro Tag „ausgeworfen“ seien, was bei den zwei Lagern eine „Umsatzsteigerung“ von über 315 000 RM pro Jahr ergebe. Ich rechne zurück, dass dies bei den angegebenen 216 Arbeitern 432 RM pro Tag und somit 157 680 RM pro Jahr sein müssten; das erste Lager müsste dann aus etwa gleich vielen Arbeitern bestanden haben, denn die Verdopplung des Jahresbetrages ergäbe 315 360 RM, was mit der mitgeteilten „Umsatzsteigerung“ gut übereinstimmt. Nirgends ist die Rede von einem Straf- oder Arbeitserziehungslager, und es scheint sich lediglich um ein normales Lager des Arbeitsdienstes gehandelt zu haben.

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Donnerstag, 17.6.2004. – Ich sehe das 1928 erschienene Erinnerungsbuch „Novemberrevolution“ von Hermann Müller-Franken durch, kann aber keine Hinweise auf Fritz Henck oder das „Regiment Reichstag“ darin finden.

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Mittwoch, 23.6.2004 – Einige aufregende Tage liegen hinter mir, doch wurden die Aufregungen nicht durch diese Untersuchungen, sondern meinen für die zweite Augusthälfte geplanten Kurs in Salzburg verursacht, für den sich bis jetzt nur zwei Teilnehmer eingeschrieben haben und der infolgedessen vermutlich ausfallen wird. Das heißt mit anderen Worten: drei Monate ohne Einkommen. Es ist zum Verzweifeln, und ich weiß nicht, wo wir noch sparen sollen. Gleichwohl ist dies nicht der richtige Ort, mich über unsere finanziellen Sorgen auszulassen, und so fahre ich mit den Ergebnissen meiner Familienforschung fort.

In Zeven konnte ich nun das Bändchen „Das Erbrecht“ einsehen, das wieder so strengen Beschränkungen hinsichtlich der Ausleihe und des Photokopierens unterlag. Bereits ein Blick auf das Titelblatt klärte jedoch, was es mit dieser Schrift auf sich habe. Neben dem Verfassernamen Fritz Henck war nämlich „Rostock“ angefügt, so dass es sich hier um den Namensvetter und nicht meinen Großonkel handelte. Die Schrift war voller juristischer Details, und sie passte inhaltlich genau zu jenem Fritz Henck, der ab Mitte Dezember 1918 im Freistaat Mecklenburg-Schwerin in der Legislaturperiode des 1. Landtags als Justizminister tätig war. Dieser Druck und nicht die „Volkswehr“ wäre in Schröders Handbuch der Parlamentarier zu nennen gewesen. Mir kommt der Gedanke, dass auch die Existenz eines unweit von Lübeck tätigen hohen Politikers der SPD mit dem Namen „Fritz Henck“ unter Umständen ein Grund gewesen sein könnte, zur Vermeidung von Missverständnissen den Namen des Dichters Fritz Henck 1927 in dem SPD-nahen „Lübecker Volksboten“ nicht zu nennen.

Im Internet finde ich eine Datenbank, die mir erstaunlich viele Veröffentlichungen von Wilhelm Henck ausgibt. Sie nennt sich „Bildungsgeschichte Online – Katalog der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung“ und zeigt mir 32 Titel zu Wilhelm Henck an, darunter Auflagen und selbst Titel, von denen ich noch nichts wusste. Ich finde hier auch einen Aufsatz „Ueber den Unterricht im ersten Schuljahre“, der den Text eines auf der Versammlung des Fröbel-Verbandes zu Dresden am 8. Oktober 1900 gehaltenen Vortrags von Wilhelm Henck wiedergibt. Der 14seitige Text kann aus der „Zeitschrift für pädagogische Psychologie und Jugendkunde“ (Heft 6, 1900) komplett abgerufen werden, und ich habe ihn nach dem Ausdruck gelesen, während mein Computer eine nicht enden wollende Systemwiederherstellung vollzog, mit der ich häufigeren Abstürzen vorzubeugen hoffte. Dieser Aufsatz findet vielfach meinen Beifall und weist Ideen über das spielerische Erlernen auf, die ich grundsätzlich auch heute noch für richtig erachten würde. Der Urgroßvater scheint mit seinen Büchern, Vorträgen und Aufsätzen jedenfalls eine breitere Wirkung gefunden zu haben, als ich dies früher je angenommen hätte. Im Familienkreis wurden seine Leistung dagegen entweder gar nicht erwähnt oder ein wenig mitleidig-herablassend belächelt, als habe man sich mit seinen Gedanken auch nur von ferne beschäftigt. Man sah und erwähnte da allenfalls die Bilderchen mit den Hühnchen, und das reichte offenbar aus, sich eine Vorstellung von der Beschaffenheit seines Geistes zu machen. In seinem Vortrag erwähnt Wilhelm Henck einleitend, dass auch seine beiden Söhne (damals sieben und acht Jahre alt) einen Fröbelschen Kindergarten besucht hatten.

Die Stiftung „Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv“ meldete sich nach einem Monat und ließ mich wissen, dass man zu Peter Henck und Johanna P. keine Unterlagen besitze. Man habe nur einen kleinen Bestand von Scheidemanns Nachlass; andere Teile desselben seien in der Ebert-Stiftung bzw. in Privatbesitz.

Bei dem Leiter der Friedhofsverwaltung in Stahnsdorf wiederhole ich meine Anfrage wegen Peter Henck und der Scheidemann-Familiengrabstätte.

Heute rief ich dagegen bei der Friedhofsverwaltung in Kassel an, um zu erfragen, ob nicht Wilhelm und Emma Henck dort bestattet wurden. Man nimmt meine Angaben freundlich entgegen, findet zwar nichts unmittelbar im Computer, prüft aber die älteren Bücher und ruft drei Stunden später zurück. Nein, man hat nichts finden können, obgleich man die einschlägigen Aufzeichnungen von 1940 bis 1952 geprüft hat. – Der Verbleib dieser Urgroßeltern ist wirklich ein Rätsel. Ob sie nach Schrecksbach zu meinem Großvater Karl Henck gingen und dort verstarben? Aber ich war früher oft auf dem Schrecksbacher Friedhof gewesen, wo wir immer nur das Grab von Karl Henck, das von Richard Ital, dem Bruder meiner Großmutter, und in späterer Zeit das von dieser Großmutter selbst besucht hatten. Ich werde sicherheitshalber auch in Schrecksbach noch anfragen.

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Donnerstag, 24.6.2004. – Die Versuche, in Schrecksbach und im Wiesbadener Hauptstaatsarchiv weitere Einkünfte einzuholen, verliefen negativ, da die Personen, die ich befragen wollte, nicht anwesend waren.

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Freitag, 25.6.2004. – Erneuter Anruf im Wiesbadener Hauptstaatsarchiv, doch der Herr Dr. D. hat bisher leider noch keine Zeit gefunden, meiner Anfrage nachzugehen, die über drei Wochen zurückliegt. Aber er hat es nicht vergessen. Ansonsten großes Schweigen an allen Fronten.

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Dienstag, 29.6.2004. – Telefonat mit Frau Hölscher im Bürgermeisteramt von Schrecksbach. Weder liegen die Urgroßeltern auf dem Schrecksbacher Friedhof noch sind sie in Schrecksbach verstorben. Das erst vor sechs oder sieben Jahren eingerichtete Computerprogramm für den Friedhof, in dem die Daten der auf den Grabsteinen genannten Personen erfasst wurden, wies außer meinen Großeltern keine anderen Hencks aus. Und auch eine Durchsicht des Sterbebuchs im Standesamt – ich rufe eine halbe Stunde später erneut an, man schaut eben nach – ergab ebenfalls keine Einträge in der Zeit zwischen 1943 und 1960. Lediglich mein 1955 verstorbener Großvater Karl Henck war zu finden.

 

 

Zehntes Kapitel
Stahnsdorfer Friedhof

Samstag, 10.7.2004. – Nachdem ich noch einmal angemahnt hatte, kam heute, mehr als acht Wochen nach meiner ersten Anfrage, eine ausführliche Antwort von der Friedhofsverwaltung in Stahnsdorf. Auf dem Südwestfriedhof gebe es heute noch eine sechzehn Quadratmeter große Familiengrabstätte, auf der sich ein „repräsentatives Grabmal“ mit einer Inschrift für Johanna Scheidemann befinde (Abteilung Charlottenburg, Gartenblock II, Gartenstellen 125 und 125a). In dieser Grabstätte seien Peter Henck, Hedwig Henck, geb. Scheidemann, Lina Katz, geb. Scheidemann, Ernst Katz und Johanna Scheidemann beigesetzt. Philipp Scheidemann sei hier nicht bestattet, daher werde das Grab auch nicht als Ehrengrab betreut. Die Urne von Peter Henck sei 1995 umgebettet worden in die Anlage der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft, die von der Senatsverwaltung Berlin betreut werde (Abteilung Epiphanien, Reihe 3, Grab Nr. 5); die dort angebrachte Grabplatte sei mit seinem Namen und den Geburts- und Sterbedaten versehen (ich hatte gedacht, der Geburtstag sei hier nicht bekannt?). Die Grabstätte Scheidemann sei seit vielen Jahren unbetreut, und die Grabfläche sei heute mit einer dichten Grasdecke überwachsen.

Ich bedanke mich für die Auskünfte und bitte, mich oder H. P. davon in Kenntnis zu setzen, falls eine Einebnung der Grabstätte anstehe, denn zumindest sollte man dann einige photographische Aufnahmen als dokumentarische Erinnerung machen. Rasch schreibt man zurück, dass man unsere Adressen jetzt an die entsprechende Gräberkarte geheftet habe und uns gegebenenfalls informieren werde.

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Mittwoch, 21.7.2004. – Vom Hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden erhalte ich die Nachricht, dass keine Hinweise auf ein Entnazifizierungsverfahren zu meinem Vater gefunden werden konnten, „trotz nochmaliger intensiver Recherchen in den Karteien der Spruchkammern Ziegenhain, Marburg, Darmstadt-Lager, Frankfurt-Zentral und Kassel-Zentral“. Weitere Erklärungen dazu gibt es nicht, und so schließt diese Nachricht die Untersuchung vorläufig ab.

 

 

Elftes Kapitel
Betteln. Im Hamburger „KoLaFu“

Samstag, 31.7.2004. – Gestern erreichte mich nun doch noch eine Antwort aus dem Staatsarchiv in Hamburg, an das ich wegen Peter Henck am 6. Juni geschrieben hatte. Der zuständige Bearbeiter entschuldigt sich jedoch höflich und erklärt die Verzögerung mit der Pensionierung eines Kollegen und der Neuverteilung der von ihm betreuten Arbeitsbereiche. Beigefügt sind vier kostenlose Photokopien aus der alten Untersuchungshaftkartei Männer. Danach saß Peter – als zweiter Vorname tritt Friedrich auf – dreimal 1934 (19, 27 und 30 Tage), einmal 1935 (10 Tage) und zweimal 1937 (42 und 80 Tage) in Untersuchungshaft ein. Als Grund der Einlieferung ist stets „Betteln“ genannt, als Beruf wird Landarbeiter, Arbeiter oder ungelernter Arbeiter angegeben, als Religionszugehörigkeit ist 1937 einmal „Gottl.“ eingefügt, was wohl nur „Gottlos“ heißen kann, eine Gleichsetzung, für die ich keine die Worte habe. Ferner finden sich auf den Karteikarten Angaben wie Aufnahme-, Zellen-, Haftkontroll-, Strafabteilungs- und Strafkammernummern, Aktenzeichen und in der Rubrik „Wohin?“ hinter dem Abgangstag Eintragungen wie „Strafhaft“, „entlassen“, „Strafs[ache?]“ und „Strafv[ollzug?/erbüßung?]“. Die Karteikarte von 1937 vermerkt am Kopf handschriftlich Peter Hencks Musterung („tauglich I“) im Jahre 1935 in Altona.

Aus dem Polizeigefängnis in Hamburg-Hütten gebe es leider keine Nachweise mehr, doch ohne photokopierten Beleg erwähnt der Begleitbrief noch, dass Peter Hencks Schutzhaft aus Abrechnungslisten der Schutzhaftgefangenen im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel („KoLaFu“) dokumentierbar sei. Diesen zufolge sei er vom 14. Mai bis zum 27. Juni 1940 (6 Wochen) dort inhaftiert gewesen. Weitere Nachweise konnten in den im Staatsarchiv Hamburg verwahrten Strafakten nicht ermittelt werden, die Polizeiunterlagen seien während oder gegen Ende des Nationalsozialismus weitgehend zerstört worden.

Da ich nichts über die anscheinend allgemein bekannte Abkürzung „KoLaFu“ weiß, belese ich mich im Internet und erfahre, dass es sich hier um das berüchtigte „Konzentrationslager Fuhlsbüttel“ handelte, dessen Existenz, im Unterschied zu vergleichbaren NS-Einrichtungen, nicht auf die SA oder SS zurückging, sondern im September 1933 auf Betreiben der Hamburger Landesjustizverwaltung und Strafvollzugsbehörde entstand.

 

 

Zwölftes Kapitel
Eine Zeichnung. Der Friedhof in Wedel

Montag, 27.9.2004. – Meine letzten Eintragungen liegen schon fast zwei Monate zurück. Ich nehme sie an dieser Stelle wieder auf, da ich durch Zufall jenes Bildchen wiederfand, das Fritz vor nahezu fünfzig Jahren malte und das ich, wie erwähnt, lange gesucht hatte. Ich hatte es an den Anfang eines der beiden großen Alben gelegt, die meine gebundenen Kinderzeichnungen enthalten. Gleichwohl suchte ich nicht bewusst danach, sondern es ging mir eigentlich um ältere Geschäftsbriefe auf der höchsten Stufe eines Regals, auf der nur selten Benutztes lagert. Und ich nahm den obersten Band der Zeichnungen, den ich seit Jahren nicht mehr geöffnet hatte, nur aus dem Regal, da ich ohnehin auf einem Stuhl stand und ihn plötzlich so griffbereit vor Augen hatte. Doch es ist schon ein seltsames Zusammentreffen, denn erst seit dem letzten Wochenende vertiefe ich mich wieder in das vorliegende Kapitel, korrigiere und ergänze, und gerade heute Vormittag stieß ich auf jene Stelle, die von der kleinen Zeichnung handelt. Erneut hatte ich Ã¼berlegt, wo sie stecken möge und was ich anstellen könne, um sie wiederzufinden. Und nun halte ich das Bild ganz unerwartet, ohne auch nur eine Sekunde danach gesucht zu haben, in Händen.

Wie gesagt, ist es eine Buntstiftzeichnung, die an einigen Stellen aber mit blauem Kugelschreiber ergänzt wurde. Ihr unregelmäßig zurechtgeschnittenes Format ist etwa das einer Postkarte, das angegraute Papier hat etwa die Stärke gewöhnlichen Schreibmaschinenpapiers. Rechts unten hat Fritz mit Kugelschreiber nicht seinen, sondern meinen Vor- und Zunamen sowie das Jahr 1955 angegeben, womit er mir wohl einen Gefallen tun wollte, womit aber zugleich ein weiteres Mal sein Hang, mit den Signaturen seiner Bilder zu spielen, zum Ausdruck kommt. Andererseits schrieb er mir damit Talente zu, die ich nicht besaß und mit denen mich zu schmücken mir kaum je eingefallen wäre; denn der Unterschied zu jenem, was und wie ich selbst malte und zeichnete, ist unübersehbar. Seine Urheberschaft schien Fritz dabei nicht allzu wichtig, und er ordnete sie schnell anderen Interessen unter.

 

Fritz [nicht wie angegeben Herbert] Henck, Buntstiftzeichnung, 1955

 

Auf der Rückseite befand sich eine Bleistiftzeichnung, die wohl tatsächlich von mir stammt (denn meine Schwester hatte, was sich schon früh zeigte, die weitaus größere Begabung auf diesem Gebiet, und sie besitzt ähnliche, wenn auch noch umfangreichere Bände mit ihren gebundenen Kinderzeichnungen). Man sah hier mit einfachen Strichen einen großen runden Tisch wiedergegeben, auf dem zwei Tassen und Teller standen. Zwischen ihnen lag ein Buch, vielleicht auch eine Zeitung. Rechts neben dem Tisch war ein Stuhl, und über dem Tisch, auf den man etwas von oben hinunter sah, erkannte man die Umrisse einer runden Lampe, wie wir sie in Treysa in unserer Küche hatten. Das Stromkabel, an dem sie hing, war in einem eiförmigen Behälter aufgerollt, und ein besonderer Feder-Mechanismus erlaubte es, ihre Höhe zu verstellen, ohne dass das Kabel dann auf den Tisch hinunterhing.

Wahrscheinlich malte Fritz dieses Bild ohne jede Vorbereitung, als er uns in Treysa einmal besuchte, wobei er sich dann meine Buntstifte auslieh. Er wählte ein Sujet, das ihm vertraut war und schnell von der Hand ging, nämlich jene Landstraße in der Bildmitte, die immer schmaler wurde und auf der linken Seite von einer Reihe perspektivisch immer kleiner werdender Birken gesäumt war. Insgesamt war die Landschaft etwas hügelig, nicht unähnlich jener, der man in der Schwalm begegnete. Um das Ganze herum zeichnete er einen schwarzen Rand, um einen Bilderrahmen anzudeuten, und es ist vorstellbar, dass er sich mit Skizzen dieser Art den Aufbau und die Wirkung seiner später in Öl ausgeführten Bilder klar machen wollte.

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Dienstag, 28.9.2004. – Durch den Fund des Bildchens angeregt bin ich nun doch weiteren Spuren von Fritz nachgegangen und habe mit dem Friedhofsamt in Wedel telefoniert. Ich erhielt von einer Dame die Auskunft, dass sich tatsächlich das Grab von Fritz auf dem Wedeler Friedhof befinde. Dass es trotz der bereits abgelaufenen Ruhezeit noch nicht eingeebnet sei, habe sich dem Umstand zu danken, dass etwa noch zehn weitere Familienmitglieder in dieser Grabstätte beigesetzt seien, wodurch sich die Liegezeit, die von dem zuletzt Bestatteten an gerechnet werde, verlängert habe. Ich war etwas überrascht, und auf meine Nachfrage, wer denn da noch alles liege, nannte die Dame etwas zögerlich noch eine Helene Henck, die 1972 verstorben sei, bat dann aber, leicht gereizt ob meiner zahlreichen Fragen und unter Verweis auf ihr öffentliches Büro, in dem bereits mehrere Besucher auf sie warteten, um einige Zeilen Schriftliches und versprach, jemanden zu finden, der die zum Teil noch in deutscher Schrift abgefassten Aufzeichnungen besser lesen könne. Nach der letzten Wohnung von Fritz befragt, nannte ich die Austraße 5, eine Adresse, die der Beamtin als Sitz eines Altersheims bekannt war. Man werde mir schriftlich Auskunft geben. So schickte ich nach dem Telefonat gleich ein Fax mit meinen Fragen und werde vielleicht bald Genaueres erfahren.

Bei der 1972 verstorbenen Helene Henck könnte es sich um die letzte Ehefrau von Fritz handeln, die er bereits im Altersheim geheiratet hatte. Im Internet finde ich nach einigem Suchen in Wedel das „Johanniter Heinrich-Gau-Heim“, ein „Alten- und Pflegeheim“ in der Austraße 5, doch da anderswo eine abweichende Adresse angegeben ist, ist die Anschrift vielleicht veraltet.

 

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Nachtrag 24.4.2006. – Ich breche an dieser Stelle meinen Bericht ab. Viele Spuren blieben unverfolgt, aus den unterschiedlichsten Gründen, und manche Dinge, die ich erfahren und erlebt habe, gehören meiner Ansicht nach nicht in die Öffentlichkeit, sondern sind privater, persönlicher Natur. Manches, das ich bereits hier stehen hatte, habe ich wieder entfernt, da ich mir nicht sicher war, ob ich es mitteilen sollte oder nicht, doch ließ ich den Zweifel genügen, vorerst Abstand davon zu nehmen. Ich bin mir ohnehin bewusst, dass dieser Bericht die meisten Leser nicht interessieren wird und es nur wenige gibt, die Anteil daran nehmen oder irgend eine Art von Nutzen daraus zu ziehen imstande sind. Da ich aber von anderen Forschungen weiß, dass ich nach Jahr und Tag einen fallen gelassenen Faden mitunter wieder aufnehme und mich den ungelösten Problemen und unbeantworteten Fragen erneut zuwende, möchte ich die Möglichkeit nicht von der Hand weisen, dass sich auch diesem Kapitel unter anderen und besseren Voraussetzungen einmal ein weiterer Abschnitt anschließen wird.

 

 

 

Erste Eingabe der überarbeiteten Fassung ins Internet:  April 2006
Letzte Änderung: Samstag, 30. April 2016

© 2006–2016 by Herbert Henck