Achille Colonello
von
Herbert Henck
Der Italiener Achille Colonello war der vorletzte Kammerdiener von Franz Liszt und, nach Liszts eigenen Worten, der „beste, ruhigste und gewandteste“
Kammerdiener, den er je hatte. Er diente Liszt nur etwa zweieinhalb Jahre, von 1881 bis zu Colonellos Tod am 1. Februar 1884 im Weimarer „Krankenhaus am Kirschberg“, wo er im Alter von noch nicht ganz 38 Jahren verstarb. Der aus Selmona stammende Mann wurde in diesem Beruf Nachfolger von Spiridon Knezevich aus Montenegro und Vorgänger des Ungarn Mihály Krainer, der Liszt bis zu dessen Tod in Bayreuth 1886 betreute.
In Tagebüchern, Briefen und Memoiren, die Liszts Tun festhielten und hierbei auch Colonellos gedachten, trat er somit auf – nicht sehr oft und
zumeist nur am Rande, und sicherlich war die vorliegende Literatur nicht seinetwegen geschrieben worden. Kammerdiener waren gewöhnlich untergeordnete Personen, unvermeidliche Figuren, die für die tägliche Erfüllung von Pflichten, Anweisungen und immer neuen Aufgaben der verschiedensten Art Sorge zu tragen hatten. Mittelpunkt dieser Arbeit bildete das Wohl ihres Herrn, der sie aussuchte, einstellte und bezahlte, und der Vorsatz, seinen Wünschen korrekt und diskret sowie ohne Widerspruch zu willfahren.
Kammerdiener eines weltberühmten Manns zu sein, sicherte Colonello indes den Eingang in eine bestimmte Art der Quellen-Literatur, sobald diese
abschweifte von Liszts Klavierspiel und Themen der Kunst im weitesten Sinne. Denn wenn es auch vornehmlich um anderes in diesen Veröffentlichungen ging, trat doch etwas von Liszts Leben außerhalb der Musik zu Tage,
das sein musikalisches Tun gelegentlich beleuchtete. Die Wünsche, wie dieses „normale“, offizielle Leben auszusehen hatte, gingen freilich auch auf den jeweiligen Herrn zurück. So wurde den Kammerdienern das
Los vieler Menschen zuteil, die sich stets mit dem begnügen mussten, was sie hatten, waren und konnten, die aber immer nur kurz im Vordergrund oder nur ausnahmsweise im Zentrum der Aufmerksamkeit und meist gar nicht
in der Sonne der Anerkennung standen oder stehen durften.
Die letzten Lebenstage sowie der Tod Achille Colonellos sind vergleichsweise gut dokumentiert – wiederum in erster Linie durch Liszt selbst in
seinen Briefen –, wobei die Berichte oft vollständiger überliefert sind als in mancher Familienchronik. Das Leben von Achille Colonello spielte jetzt erstmals eine wirkliche Rolle, denn
es ging zu Ende und verursachte Komplikationen in dem Getriebe der vielfältigen Verpflichtungen: Liszt nannte die Erkrankung und den Tod seines Kammerdieners als einen der Gründe, warum er später
als geplant nach Budapest kommen werde.
Dies mag daran liegen, dass Liszt Colonello sehr zugetan war und Liszts Haltung seine Menschlichkeit und Großzügigkeit zeigten. In seinen Briefen sprach
Liszt häufig nur von „Achille“, der aber umgekehrt wohl kaum den Vornamen Liszts als Anrede hätte benutzen dürfen. Darüber hinaus urteilte Liszt, ebenfalls in dem eingangs zitierten postumen Brief an
Carl Gille in Jena: „Seine [Colonellos] Fehler schienen mir immer viel geringer als die Meinigen [sic], und seine Eigenschaften sehr lobenswert. Zwischen uns kam nie eine Zweideutigkeit vor.“
Colonello erkrankte Ende 1883, als Liszt, wie gewöhnlich in seinen letzten Jahren, sich zu einer Reise nach Budapest vorbereitete, wo man seine Ankunft
erwartete und wo er zu Beginn des neuen Jahres gewöhnlich an der Musikakademie unterrichtete. Colonello hatte ursprünglich mit nach Budapest kommen sollen, doch war dies nun unmöglich. Liszt besuchte Colonello
mehrfach an seinem Krankenlager und erwog, ihn in das Weimarer oder in das etwa zwanzig Kilometer entfernte Krankenhaus von Erfurt bringen zu lassen. Mehrfach wies Liszt in seinem Briefwechsel auf die schwere
Erkrankung Colonellos hin, Einzelheiten nannte er aber nicht.
So starb Colonello am ersten Februartag des Jahres 1884. Liszt war sehr betrübt über diesen Verlust, und erbot sich, Colonellos Arztrechnungen, die
Kosten für das Begräbnis sowie einen Grabstein für ihn zu begleichen, sobald er in Budapest eingetroffen sei. Ein steinernes Kreuz über dem Grab sollte auf Liszts Wunsch die Inschrift tragen: „Achille
Colonello, Kammerdiener des Ehren-Canonicus Franz Liszt“. Auf diese Weise diente Colonello auch nach seinem Tode noch.
Liszt fuhr Anfang Februar 1884 allein mit der Bahn von Nürnberg nach Budapest, wo er am 4. Februar eintraf und wo ihn infolge der vielen
Verschiebungen der Reise niemand am Bahnsteig erwartete. In Nürnberg stand er in Verbindung mit Lina Ramann, die an seiner Biographie arbeitete. Den Tod Colonellos hatte Liszt auch von Ramann
erfahren, die in ihrem Tagebuch den Empfang eines Briefs des Hofraths Dr. jur. Carl Gille benannte, welcher sie gebeten hatte, Liszt von Colonellos Ableben in Kenntnis zu setzen.
Nach den im Stadtarchiv Weimar verwahrten Dokumenten über Colonellos Tod schreibt sich sein Nachname mit zwei „n“ („Colonnello“). Damit scheint
eine Abweichung gegenüber der Liszt-Literatur zu bestehen. – Da es in Italien keine Ortschaft namens Selmona, sondern nur Sulmona gibt, liegt unter Umständen eine Verwechslung vor. Eine Anfrage deswegen
in Sulmona blieb indes ohne Antwort. – Der vorliegende Text verwendet teilweise Informationen aus meinem Aufsatz Die stummen Tasten bei Jules Burgmein (1840–1912), in dem viele Quellen belegt sind.
entstanden hauptsächlich im März und April 2015
Erste Eingabe ins Internet: Samstag, 4. April 2015
Letzte Änderung: Mittwoch, 4. Mai 2016
© 2015-2016 by Herbert Henck
|